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In den April geschickt

Berliner Halbmarathon 2007

Strohfeuer der Eitelkeiten
Die Schmeicheleien für meine Eitelkeit scheinen kein Ende zu nehmen. Gestern hatte mich die Bedienung im Hotel gefragt, ob ich den Halbmarathon laufe - man würde mir das ansehen. Gut, wahrscheinlich sind 80% der Hotelgäste Teilnehmer dieser Veranstaltung, aber man hört so etwas eben trotzdem gerne. Und nun prangt "Startblock A" auf meiner Startnummer. Diese Ehre habe ich diesmal - im Gegensatz zum Lichtenwalder Halbmarathon - nicht einmal meinen guten Beziehungen zum Veranstalter sondern tatsächlich den eigenen, sportlichen Leistungen zu verdanken. Blöd nur, dass ich nun zum Schutz gegen die morgendliche Kälte diese gelbe Plastiktüte über der Startnummer trage. Ein echter Skandal: Könnte man die nicht gefälligst aus transparentem Material herstellen, damit man seine Startnummer anständig zur Schau tragen kann?

Heute habe ich es nicht eilig, in den Startblock zu kommen. Unter all den Cracks muss ich mich nun wirklich nicht allzu weit vorn einsortieren. In schrillen Neonfarben dominieren hier die superleichten Wettkampfschuhe, zwischen denen meine "Lightweighttrainer" wie ein Paar Wanderstiefel in einem Meer von Ballettschuhen aussehen.

Kaum habe ich mich im Startblock aufgestellt, treffe ich Volker alias "üri". Nun finde ich es ohnehin immer schön, wenn ich ein bekanntes Gesicht entdecken kann, über das Treffen mit Volker freue ich mich aber ganz besonders. Schließlich hat er mich damals vor meinem ersten Marathon mit den entscheidenden Tipps versorgt und ist nicht gerade unschuldig daran, dass mein Debüt dann ein voller Erfolg wurde. Er peilt den Bereich 1:29:00 an und ich beschließe, mich erst einmal an ihn dran zu hängen. Dann wollen wir 'mal sehen, was der erste April uns heute so bringen wird.

Nach dem Start zischt das Feld einschließlich Volker ab wie die Feuerwehr und ich stiefle mutig hinterher. Nach dem Auftakt "Unter den Linden" geht es direkt durch das Brandenburger Tor. Während dieses Highlight beim vollen Marathon im Herbst erst kurz vor dem Ziel passiert wird, kann ich es heute noch mit klarem Kopf genießen. Hier vorne kommt das Feld bei der Passage nur minimal ins Stocken, weiter hinten wird das aber wahrscheinlich ganz schön eng werden.

Aprilscherze
Kilometer 1: Druck auf die Stoppuhr, piep, guck: 3:50! Nee, das ist jetzt nicht wahr, oder? Für mich wäre das selbst für einen 10km-Lauf noch eine sehr flotte Zwischenzeit, hier habe ich eigentlich den Bereich 4:10-4:15 angepeilt. Ich drossle ein wenig das Tempo, lasse Volker davonziehen und schwelge in Hochrechnungen über meine üppige Zeitreserve. Kilometer 2: 4:25. Soso, also ich würde sagen, die erste Kilometertafel war wohl ein Aprilscherz...

Ab dem dritten Kilometer pendeln sich die Zwischenzeiten dann knapp unter 4:10 ein. Wenn ich das durchhalten würde, wäre das eine neue, persönliche Bestzeit. Auf meinem Uhrenarmband ist Platz für zwei Marschtabellen; ich habe mich heute für 1:30 und meine bisherige Bestzeit (1:28:28) entschieden. Leider fühlen sich die Waden bereits jetzt sehr hart an und ich habe große Zweifel, ob das gut gehen wird. Volker ist längst weiter vorne im Feld verschwunden.

Keine Gnade für die Wade
Das Publikum ist großartig, bei einem Halbmarathon habe ich solch eine Stimmung bisher noch nie erlebt. Leider habe ich heute kaum einen Blick für den Streckenrand. Der Bestzeitversuch erfordert meine ganze Konzentration, ständig höre ich in mich hinein. Ein einziges Mal - ich laufe gerade direkt neben dem Zuschauerspalier am Straßenrand - sehe ich aus den Augenwinkeln ein paar Kinder mit ausgestreckten Händen und klappe die Hand zum Abklatschen aus.

Die Zeitmessung bei Kilometer 10 passiere ich nach 41:29. So eine Zeit würde sich in der spärlichen Reihe meiner 10km-Wettkampfergebnisse auch nicht schlecht machen. Die Waden fühlen sich inzwischen wieder lockerer an und überhaupt läuft es immer besser.

I believe I can fly
Um Kilometer 12 geht es mir wirklich grandios. Ich fühle mich locker, leicht und schnell. Ein paar Meter vor mir schert plötzlich ein Läufer im Forum-Shirt zur Seite aus - Hey, das ist ja Volker! Er bekommt von einer Radfahrerin eine Trinkflasche gereicht, das muss dann wohl Annett sein. Meter um Meter hole ich auf und bald begrüße ich Annett. Sie bietet mir Volkers Zaubertrank an, da lasse ich mich nicht zweimal bitten. "Du siehst noch gut aus!" meint Annett. Im Gegensatz zu den sonstigen Situationen, zu denen ich diese aufmunternden Worte gehört habe, fühle ich mich heute auch tatsächlich danach. "Und wie sehen wir aus?" tönt es von hinten. "Muss ich darauf antworten...?" entgegnet Annett - Cool!

Die Beine laufen wie von selbst. Es ist, als würde ich dahin gleiten, beinahe wie Fliegen - ein untrügliches Zeichen von Gefälle oder Rückenwind. Egal, jedenfalls fühlt es sich großartig an.

Nach 14 Kilometern beginnt für mich gewöhnlich die harte Zeit, heute läuft es immer noch super. Aber nur einen Kilometer weiter holt mich bereits ein Hauch von Steigung auf den Boden der Tatsachen zurück. Ich habe offensichtlich doch keine nennenswerten Reserven mehr. Nun spüre ich auch häufiger den kräftigen Wind von vorn. Das bremst, macht aber dafür die immer kräftiger werdende Sonne einigermaßen erträglich.

Am Potsdamer Platz höre ich meinen Namen. Da steht Ana, die auf meinen Kollegen Peter wartet, und winkt mir zu. Auch hier ist die Stimmung fantastisch. Wie viel Lärm die Zuschauer machen, wird mir kurze Zeit später bewusst, als wir in eine Seitenstraße einbiegen, an der für ein paar hundert Meter kein Publikum steht. Plötzlich umgibt uns eine fast unheimliche Stille, nur das "tapp, tapp, tapp" der Laufschuhe ist zu hören.

Al dente
Auf den letzten 3 Kilometern muss ich dann richtig beißen und kann das Tempo nur noch mit Mühe halten. Der Atem geht immer heftiger und ich muss mächtig Druck machen. Die tollen Pläne vom langen Endspurt sind schnell begraben, jetzt muss ich mich ohne größeren Einbruch ins Ziel retten.

Endlos zieht sich der letzte Kilometer dahin, bis ich schließlich das Ziel sehe. Dank eines leichten Gefälles gelingt mir noch ein kurzer Schlussspurt, dann ist es geschafft! 1:27:19 - Ich bin überglücklich!

So ein Tag
Nur zwei Läufer in der Schlange vor der Massage? Da stelle ich mich doch gleich an. Das beschleunigt hoffentlich die Regeneration, denn - alte Läuferweisheit - nach dem Halbmarathon ist schließlich vor dem Marathon. Einige Minuten später befinde ich mich auf der Massageliege. Zwei junge Damen kneten meine Waden. Die Sonne scheint auf mich herab. Ich habe eine neue Halbmarathon-Bestzeit in der Tasche und bin für den bevorstehenden Bonn-Marathon glänzend in Form. Was für ein Tag!