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Flow

Karlsruher Halbmarathon 2010

Baden-(Halb-)Marathon 2010, 15 Minuten vor dem Startschuss. Im zügigen Tempo jogge über das Startgelände. Was nach wohlüberlegter und professioneller Vorbereitung klingt, ist in Wirklichkeit ein ziemliches Chaos. Die letzte halbe Stunde habe ich verzweifelt nach der Kleiderbeutelabgabe für Halbmarathonläufer gesucht (die für Marathonläufer hatte ich natürlich längst gefunden) und gleichzeitig mindestens ebenso verzweifelt versucht, Vereinskollegen Markus zu erreichen, dem ich noch seine Startnummer übergeben sollte. Inzwischen habe ich diese bei einer Bekannten deponiert und hoffe, dass Markus sie noch rechtzeitig findet.

Die wenigen Meter leicht panischen Gehetzes müssen heute das Aufwärmen ersetzen. Immerhin - die Beine fühlen sich trotz aller Hektik angenehm locker an. Es ist noch empfindlich kühl; dazu trocken und es weht nur ein leichter Wind: Perfektes Laufwetter! Zumindest für den Halbmarathon, für den ich mich als Vorbereitung auf den Franfurt-Marathon entschieden habe – Die richtigen Marathonis könnten heute schon etwas zu viel Sonne abbekommen.

Endlich stehe ich im Startblock und treffe dort auch Eddi und Jürgen, die sich gleich hinter den Kenianern aufgestellt haben. Das ist mir nun doch eine Nummer zu groß und so rücke ich freiwillig ein paar Reihen nach hinten, damit mir keiner der ganz schnellen Hirsche in die Hacken rennt.

Pünktlich fällt der Startschuss und das Feld setzt sich sehr flott in Bewegung. Anscheinend habe ich mich optimal einsortiert, denn ich kann bereits den ersten Kilometer relativ unbehindert laufen (was in Karlsruhe mangels Kontrollen bei der Startaufstellung alles Andere als selbstverständlich ist) und von hinten gibt es auch kein Gedränge.

Gänzlich unbescheiden habe ich heute eine neue Bestzeit angesagt, und das, obwohl mir die 1:24:05 aus dem letzten Jahr immer noch wie süße Musik in den Ohren klingen. Aber in den letzten Wochen lief das Training wirklich prima und ich fühlte mich sehr gut in Form. Bis vor einer Woche ... Dann liefen die letzten, lockeren Einheiten merkwürdig unrund und insgeheim habe ich immer noch etwas Bammel vor einem zweiten Bellheim.

Der erste Kilometer fühlt sich immerhin schon einmal gut an und ist im Soll. Darauf gebe ich allerdings noch nicht allzu viel, so vollgepumpt mit Adrenalin kann ich locker für ein paar Kilometer über dem Limit laufen. Also halte ich mich zurück und orientiere mich an der Marschtabelle zur 1:23:59. Das heißt, ich würde mich gerne daran orientieren, aber wo war denn jetzt Kilometer 3? Den müsste ich längst passiert haben! War da kein Schild? Oder war es die tief stehende Sonne, der wir entgegen laufen und trotz (oder wegen der Spiegelungen gerade wegen) meiner Sonnenbrille kann ich nicht viel sehen.

Mittlerweile habe ich auch Kilometer 4 verpasst, aber laut meiner GPS-Uhr müsste das Tempo grob stimmen und es fühlt sich sehr flüssig an. Die lange Gerade nach Durlach hinaus finde ich einen sehr guten Rhythmus und habe sogar Zeit für ein paar Blicke an den Straßenrand. Immer wieder passieren wir Tanzgruppen. Ein kleiner Junge ergibt zusammen mit einer erwachsenen Frau ein ziemlich ungleiches Squaredance-Paar – ob der Kleine anstatt Vati verpflichtet wurde?

Endlich wieder ein Kilometerschild, das mit der 5. Ich bin schon ein paar Sekunden schneller als geplant, lasse das Tempo jetzt aber einfach laufen. Es fühlt sich unheimlich gut und rund an.

Als wir Durlach erreichen, bin ich mir bereits sicher, dass es ein toller Tag wird. Es ist einer jener seltenen Tage, an denen der Lauf vollkommen rund ist und das Tempo sich genau richtig anfühlt. Es erfordert zwar Kraft, diese ist aber einfach da. Ist dies das vielfach zitierte "Runner's High"? Da ich nun wirklich nicht mit endorphinbeduseltem Grinsen über den Asphalt schwebe, gefällt mir der in Läuferkreisen hin und wieder benutzte Begriff "Flow" viel besser. Das ist es: Ein perfekter Fluss der Bewegung, immer genug Luft zum Atmen und das Gefühl, über den Asphalt zu gleiten. Und das bei einem Wettkampf: Mensch ist das geil.

Das Gleiten ist allerdings auch dem schnellen Halbmarathonkurs zu verdanken, der abgesehen von ein paar Unterführungen kurz nach dem Start ziemlich flach ist. Kilometer 10 passiere ich in 39:27. Sauber - unter meinen 10km-Wettkämpfen wäre das immerhin die drittbeste Zeit.

Der auf der Startnummer aufgedruckte Vorname zeigt seine Wirkung. Immer wieder werde ich persönlich angefeuert. Was allerdings zu einem guten Teil auch an der Tatsache liegen könnte, dass es gerade kaum Alternativen gibt, da zu Vorder- und Hintermann jeweils eine nicht unerhebliche Lücke klafft. Warum schaffe ich es eigentlich nie, in einer Gruppe zu laufen? An meiner Renntaktik muss ich wohl noch etwas feilen. Andererseits – Wann wird man schon einmal von einer Bauchtanzgruppe namentlich angefeuert?

Bei Kilometer 13 wird der schöne Rhythmus jäh unterbrochen, hier lauert die berüchtigte Fußgängerbrücke von Rüppur. Heute kann mich auch dieses Hindernis nicht stören. Das Tempo einen Tick reduziert und ein paar Schritte mit mehr Druck; schon habe ich den Scheitelpunkt erreicht und kann mich wieder herunter treiben lassen.

Ganz plötzlich schießt mir bei Kilometer 15 die Müdigkeit in die Beine. Also ist es doch nichts mit den scheinbar unerschöpflichen Kräften. Aber ich habe physisch wie psychisch genügend Reserven; ein wenig mehr Einsatz und das Tempo bleibt weiterhin gut. Auf den paar Kilometern bis zum Ziel lasse ich mir die Wurst nicht mehr vom Brötchen nehmen.

Aaahhh! Im letzten Augenblick kann ich um einen Kinderwagen herumkurven, welchen eine Frau gerade vom Fußgängerweg auf die Straße schiebt. Das war knapp! Nun nehme ich auf solche Gespanne durchaus gerne Rücksicht; auf der Rennstrecke hätte ich es dann aber ausnahmsweise lieber andersherum. Unwillkürlich muss ich an die Frau denken, welche letztens im Stadion während des Trainings ihren Kinderwagen seelenruhig auf der Laufbahn abgestellt hatte. Selbstverständlich auf der Innenbahn ...

Jetzt ist es richtig anstrengend, das Tempo zu halten. Aber das ist heute kein verzweifelter Kampf, nicht zu viel zu verlieren, sondern das elektrisierende Gefühl, mit vollem Einsatz ein großes Ziel zu erreichen. Für die zweiten 10 Kilometer benötige ich eine Sekunde weniger als für die ersten. OK, dann wäre eben das meine drittbeste 10km-Zeit.

Nach einigen Ausflügen auf die Marathondistanz kann ich an der Karlsruher Marathonweiche diesmal die kurze Route ins Ziel wählen. Ein paar Ordner beginnen wild zu fuchteln. Was ist da los? Laut Startnummer hat mein Nebenmann offensichtlich für den ganzen Marathon gemeldet und nun versuchen die aufmerksamen Helfer, ihn auf die lange Strecke zurück zu dirigieren. Der winkt aber ab und will nur noch den Halbmarathon beenden.

Wir kreuzen durch ein Labyrinth von Absperrungen. Überall stehen Zuschauer und feuern uns an. Ich lasse mich davon mitreißen und gebe noch einmal Gas. "Joachim! Joachim!" schallt es von links. Eine Gruppe Vereinskollegen der LG Neckar-Enz ist zu unserer Unterstützung angereist. Ich versuche zu lächeln, aber so langsam geht mir die Puste aus. Mensch, wie weit ist es noch bis ins Ziel? Ich schiele auf meinen Garmin: Seit Kilometer 20 hat der gerade einmal 500 oder 600 Meter gezählt. Mit einem Stöhnen nehme ich etwas Tempo zurück, sonst wird das nicht reichen.

Endlich taucht der Eingang des Beiertheimer Stadions vor uns auf. Nur noch ein paar Meter. Ich reiße die Arme nach oben und lasse mich über die Ziellinie tragen. 1:23:03!

Auf die Knie gestützt, japse ich nach Luft. Ein besorgter Sanitäter fragt, ob es mir gut gehe. "Mir ... geht's ... super!" keuche ich zurück. Misstrauisch beäugt er, wie ich nach Luft ringe. Als ich jedoch aufblicke und er das Strahlen auf meinem Gesicht sehen kann, ist auch er überzeugt.

Was für ein Lauf, was für ein Tag!




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