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Tracks and the City

Stuttgarter Zeitung-Lauf 2008

Stuttgarter Zeitung-Lauf 2008. Zwei Themen dominieren die heutige Veranstaltung: der neue Kurs, welcher zum ersten Mal durch die Stuttgarter Innenstadt führt und außerdem die voraussichtlich letzte Gelegenheit für einen Zieleinlauf auf der Kunststoffbahn des Daimlerstadions. Diese, obwohl gerade erst erneuert, soll in einem Jahr zugunsten eines reinen Fußballstadions plattgemacht werden.

Wenn's mal wieder länger dauert ...
"Der Start ist noch nicht freigegeben" schallte es durch die Lautsprecher. Na Super, die Startverzögerung scheint hier inzwischen zu einer richtigen Tradition zu werden. Das passiert nun mindestens das dritte Jahr in Folge. Unbarmherzig knallt die Sonne auf uns herab und die Temperaturen steigen schneller als die Spritpreise zu Ferienbeginn. Der Unmut im Feld nimmt von Minute zu Minute zu.

Wieder einmal mühen sich die Sprecher damit ab, für etwas Unterhaltung zu sorgen. Aber jeglicher Versuch, etwas Stimmung zu machen, endet in einem gellenden Pfeifkonzert. "Bitte trinkt ausreichend während des Laufs und auch vor dem Lauf!". Toller Tipp, den wollte ich eigentlich befolgen. Leider habe ich aber bereits vor einer Stunde meinen Kleiderbeutel mit der Trinkflasche abgegeben, und wenn wir hier heute tatsächlich noch einmal loskommen sollten, sind es dann immer noch 5 km bis zur ersten Getränkestation!

Mit einer halben Stunde Verspätung gehen wir auf die Strecke. Irgendwie bekomme ich heute kein Tempogefühl. Dafür fühle ich bereits jetzt die schreckliche Hitze. Nicht zu fassen: Da überholt mich tatsächlich ein Läufer in langen Hosen! Allein der Gedanke daran lässt den Schweiß noch schneller fließen. Außerdem legt die psychedelische Farbgebung seiner Leggins die Vermutung nahe, dass das Design unter dem Einfluss von möglicherweise nicht ganz legalen Substanzen zustande gekommen sein könnte.

Bratröhre
Da vorne kommt ein Tunnel, endlich Schatten! Aber zu früh gefreut: In der Röhre herrscht eine unglaublich drückende Hitze. Nicht der geringste Lufthauch sorgt für Kühlung. Kaum zu glauben, auch wenn man durchgeschwitzt ist, kann man noch zusätzliche Schweißausbrüche bekommen.

Wir sind gerade einmal zwei Kilometer gelaufen und ich bin bereits restlos bedient. Es passt einfach überhaupt nichts. Meine Beine fühlen sich butterweich und kraftlos an. Ich habe kein Gefühl für das Tempo und bin jetzt schon langsamer unterwegs, als ich auch unter schlechten Bedingungen erwartet hatte. Den Bestzeitversuch hatte ich schon vor einer Weile gestrichen, aber inzwischen liegt auch die 1:30 in weiter Ferne. Jetzt streikt auch noch der Pulsmesser - Na heute kommt alles zusammen.

Kindereien
Von einer Fußgängerbrücke hängt das Transparent "Achim, wir wollen ein Kind von Dir". Mit Mühe widerstehe ich der Versuchung, das "Jo" auf dem Namenszug an meiner Startnummer abzudecken und mich zu erkundigen, wie pauschal das Angebot zu deuten ist.

Die neue Streckenführung durch die City ist interessanter, aber auch fürchterlich verwinkelt. Eine Ecke hier, ein paar Meter auf der Königstraße da, und gleich wieder eine 90-Grad-Kurve zurück; so geht das die ganze Zeit.

Mit Kilometer 5 erreichen wir die erste Erfrischungsstelle. Endlich Wasser auf den weich gekochten Kopf, das Shirt und in die trockene Kehle. Die Straße ist vom verschütteten Wasser gefährlich rutschig geworden. Ich bin schon so ein Held - gestern hatte ich in meinem Beutel mit den Startunterlagen sogar zwei Schwämme gefunden und heute habe ich gleich beide mit meinen Klamotten abgegeben. Soviel zum Thema Wettkampferfahrung ...

Die Kilometermarke 8 steht am Beginn einer fiesen Steigung. Im Vergleich zur alten Strecke sind es sicher nicht mehr Steigungen geworden, aber solche Kaliber waren nicht darunter. Egal, ich nehme noch mehr Tempo heraus, um meine Uhr kümmere ich mich längst nicht mehr.

Die Straße ist Tour-de-France-mäßig mit Durchhalteparolen beschriftet. Vor einem Haus mit überwiegend griechischer EM-Beflaggung sorgen gleich mehrere Anwohner mit Wasserschläuchen für Abkühlung. Mit ausgebreiteten Armen laufe ich durch die Fontänen und bedanke mich für die Erfrischung.

Kilometer 10 erreiche ich in knapp 45 Minuten, das schaffe ich im Training manchmal schneller. Bisher habe ich mich im Wettkampf noch nie an ungetesteter Verpflegung versucht (zumindest nicht absichtlich ...), heute greife ich jedoch kurz entschlossen zum Isodrink. Schlimmer kann es kaum werden und möglicherweise hilft der Zaubertrank gegen dieses Gefühl der Leere in den Beinen.

High Speed Manni
Dann zieht Manni an mir vorbei. Entweder habe ich die neueste Retrowelle im Laufsport verschlafen, oder Manni gehört zu einer aussterbenden Spezies. Sein schweißnasses Baumwollleibchen klebt kiloschwer auf dem Körper. Die Treter sehen aus, als hätte sie Adi Dassler noch persönlich zusammengenagelt. Keine Ahnung, wie er in Wirklichkeit heißt, den Namenszug auf seiner Startnummer kann ich nicht erkennen. Ich habe ihn Manni getauft, den Libero des Halbmarathons. In irgendeiner ökologischen Nische muss er dem Selektionsdruck von Funktionsfasern und Sportartikelmarketing widerstanden haben. Das kümmert Manni alles nicht, er läuft einfach nur - auf gut schwäbisch gesagt - sauschnell. Scheinbar mühelos zieht er davon. Wer sich nicht um Laktate schert, scheint sie auch nicht in den Beinen zu spüren.

Shower Power
Die Feuerwehr hat Hydranten geöffnet und bietet Duschgelegenheiten. Ich lasse keine Gelegenheit zur Abkühlung aus. Meine Schuhe sind mit Wasser vollgesogen, hängen schwer an den Beinen und machen bei jedem Schritt eigenartige Geräusche. Trotzdem läuft es inzwischen etwas besser und ich kann wenigstens ein wenig Gas geben.

Unmittelbar vor mir springt eine Ampel auf Rot. Der Reflex lässt mich für Sekundenbruchteile zusammenzucken. Aber die Straße ist heute für uns Läufer reserviert und wirklich perfekt abgesperrt. Möglicherweise ist das auch ein Grund für die regelmäßige Startverzögerung in Stuttgart. Kein Vergleich zu manch anderen Veranstaltungen, bei denen die Streckenposten an offenen Kreuzungen mühsam versuchen, die Autos aufzuhalten.

Inzwischen könnten wir etwas Unterstützung durch das Publikum wirklich vertragen, aber die Kurssetzer haben ihre Highlights gleich zu Beginn verpulvert. Jetzt liegen vor uns nur noch endlose Straßenschluchten ohne eine Menschenseele. Hier könnten die ortsansässigen Automobilbauer sonntags ihre Erlkönige völlig unbehelligt herumkurven lassen. Es wäre sicher kein Fehler, die Strecke in umgekehrter Richtung zu laufen, etwas später am Vormittag hätten sich möglicherweise auch noch ein paar Zuschauer mehr in die Innenstadt verirrt.

Ich bin wieder langsamer geworden, trotzdem überholt mich nur selten ein Läufer. Alle kämpfen mit den widrigen Bedingungen. Zwei kleine Jungen strecken mir die Hände entgegen. Sind das hier tatsächlich die ersten Kinder zum Abklatschen? Jedenfalls habe ich vorher keine beachtet. Also Jungs: "Gimme Five!".

Endlich naht das Stadion. Einen Endspurt kann ich mir schenken, das rettet die Zeit auch nicht mehr. Also genieße ich noch einmal den Einlauf durch das Marathontor und die butterweiche Kunststoffbahn; lasse mich von der Fliehkraft aus der Kurve in die Zielgerade tragen. Der Schatten meines Hintermanns wird hektisch und größer. Hey, so geht's ja nicht! Also doch noch ein paar Schritte Spurt.

Nach 1:36:38 piept die Zielmatte, so lange habe ich für einen Halbmarathon das letzte Mal vor vier Jahren gebraucht. Aber ich bin heil durchgekommen, was soll's. Ich genieße jetzt einfach noch einmal die eindrucksvolle Kulisse des Stadions.




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